Bewegungslernen
Genau so ist auch dein bisheriger Laufstil entstanden. Dein laufspezifisches Bewegungsmuster entstand bereits in deiner frühen Kindheit. Zu Beginn musstest du auch das Laufen lernen, als Kind natürlich von allein und spielerisch. Dazu brauchte man keine Schule, das funktioniert bei jedem. Dennoch muss man viel laufen, um das Laufen einigermaßen koordiniert zu schaffen. Schau dir einmal Kinder genauer beim Spielen zu: sie laufen meist richtig! Sie heben die Beine, die setzen den Fuß ziehend von vorne nach hinten auf, man hat das Gefühl, dass sie gar nicht am Boden ankommen – so wie unsere Spitzenläufer, eigentlich.
Erst nach vielen gelaufenen Kilometern stabilisiert sich
dann ein Laufstil, der oft sehr individuell sein kann. Je nachdem, welche Reize
gesetzt wurden, hat der Körper gelernt, so zu laufen, wie er eben läuft. Dieser
Laufstil ist für diese eine Person der richtige, der einzig richtige Laufstil. So
können orthopädische Voraussetzungen oder Einschränkungen einen etwas anderen
Laufstil bewirken. Oder Verletzungen im Laufe des Lebens bewirken, dass beim
Laufen eine Schonhaltung eingenommen und langfristig beibehalten wird. Solche Phänomene
gibt es nicht nur beim Laufen. Du kennst sicher jemanden, der zum Beispiel nach
einer Beinverletzung Jahre später immer noch hinkt, auch wenn die Verletzung
bereits vollständig ausgeheilt ist und keine offensichtlichen Einschränkungen
gibt.
Auch wenn die meisten Kinder zu Beginn ihrer „Laufbahn“ richtig laufen, irgendwann verlieren wir aber dieses leichtfüßige Laufen, was einerseits mit unserem Bewegungsverhalten zu tun hat (wir laufen und bewegen uns insgesamt immer weniger), aber vor allem mit den Schuhen zusammenhängt. Wenn wir immer bequeme Schuhe tragen, dann bringen wir unserem Körper auch einen bequemen Laufstil bei, bei dem er sich nicht mehr so sehr anstrengen muss. Er verlässt sich auf den Komfort der Schuhe und wir verlernen das Laufen. Wir gewöhnen uns an Bewegungsmuster, wenn sie nur oft genug wiederholt wurden.
Denke doch einmal ans Zähneputzen: nehmen wir an, du putzt
dir mit einer normalen Zahnbürste täglich deine Zähne. Dabei wirst du angenommen
etwa 100 kreisende Bewegungen machen, die so gezielt sind, dass die Zähne strahlend
rein werden. Das machst du seit Jahren, täglich, und das mehrmals. Dieses
Bewegungsmuster ist stabil und hat sich bewährt. Versuche nun, die Zähne mit
der anderen Hand zu putzen. Beim ersten Mal wirst du vielleicht gar nicht zum
Zähneputzen kommen, sondern mit der Zahnbürste wild im Mund herumfuchteln. Es
wird mit Sicherheit keine koordinierte Bewegung sein. Erst mit der Zeit, wenn
du dir öfters mit dieser Hand die Zähne putzt, wird sich das Bewegungsmuster
dermaßen verbessern, dass nach wenigen Wochen beinahe kein Unterschied mehr zur
gewohnten Hand besteht. Du hast deine Feinmotorik so geschult, dass du nun auch
mit der anderen Hand deine Zähne ordentlich putzen kannst.
Das ist Bewegungslernen: die Bewegung, die wir immer wieder ausführen, entwickelt sich als die richtige Bewegung. Wir laufen so, wie wir es gelernt haben bzw. wie es unsere Bewegungs- und Verletzungsgeschichte ermöglichte. Auch wenn der erlernte Laufstil von außen betrachtet, vielleicht nicht ganz ökonomisch aussieht, man hat das Bewegungsmuster in dieser Art und Weise perfektioniert und der Körper ist damit zufrieden. Er weiß ja nicht, welche andere Möglichkeiten es sonst noch gibt. Sobald der Köper aber Alternativen präsentiert bekommt, wird der Ablauf der bisherigen Bewegung überdacht und verfeinert.
Genau hier setzt unsere Laufschule an. Wir haben ein
bewährtes System, das nicht unbedingt perfekt ist, aber über die Jahre perfekt
eingelaufen ist. Um besser zu werden, müssen wir dem Körper bessere
Alternativen anbieten. Erst wenn er diese kennenlernt, wird er auf diese neuen
Erfahrungen zurückgreifen und den Laufstil verändern. Das braucht aber Zeit,
viel Zeit, denn ein eingelaufenes System ändert sich klarerweise nicht so leicht.
Deshalb ist es für mich auch ein so großes Anliegen, dass sich Laufanfänger zu
Beginn nicht um die richtigen Laufschuhe, um eine Pulsuhr oder vielleicht sogar
um einen Laktattest kümmern, sondern sie sollten sich zuallererst mit einer
ordentlichen Lauftechnik befassen. Ist der Laufstil noch nicht „verdorben“, ist
er noch jungfräulich, dann kann man ihn viel leichter zu einer guten Lauftechnik
formen. Wenn du von Beginn an die richtigen Reize setzt, brauchst du nicht den
langwierigen Weg einer Bewegungsänderung gehen.
Die Übungen der Laufschule
In einem (sehr)frühen Bericht wurden die Übungen der Laufschule von mir bereits im Detail
besprochen. Schau dir die Übungen noch einmal genauer an, damit du auch
verstehst, wieso gerade diese Übungen von Bedeutung sind. Besser wäre natürlich,
wenn du dir die Übungen in einem meiner Seminare zeigen lässt, damit du sie sofort richtig spürst. Hier
möchte ich noch einmal die wichtigsten Übungen zusammenfassen und das
Wesentliche hervorheben:
- Kniehub
Mit dieser Übung möchte ich den gewohnt niedrigen Kniehub extrem überbetonen. Es soll noch immer ein „normales Laufen“ sein, nur dass du bei jedem zweiten Schritt ein Bein deutlich höher hebst als normal. Damit du nicht ins Springen kommst, musst du das Knie sowohl schnell hochheben als auch wieder schnell senken. Du wirst bemerken, dass du bei dieser Übung nicht mehr mit der Ferse aufsetzen kannst. - Fersenhub
Die Übung ist etwas leichter umzusetzen als die Überbetonung des Kniehubs. Das Laufen soll sich dennoch einigermaßen rund anfühlen. Bei der Übung solltest du insgesamt einen leichtfüßigen Lauf haben und wieder nicht auf der Ferse aufkommen (wollen). - „Ventilator“
Die Kombination von Knie- und Fersenhub jedoch im normalen Lauf (nicht li/re entkoppelt!). Denke daran, dass dein Fuß die Funktion eines Rotorblatts eines Ventilators einnimmt und eine große Kreisbewegung macht. Bei dieser Übung solltest du das Gefühl bekommen, dass es sich leichtfüßig und locker anfühlt, auch wenn es anstrengend ist. Die Übung sollte sich schnell anfühlen bzw. sie sollte dich zum schnellen Laufen animieren. - Hopserlauf
Diese Übung hat zwar direkt mit dem Laufen nichts zu tun, dennoch ist sie sehr wichtig. Wir wollen damit wieder das Knie sehr hoch heben und den Winkel im Hüftgelenk deutlich vergrößern, andererseits aktivieren wir mit dieser Übung auch die Waden, indem wir bewusst in die Höhe springen. Der Abdruck und die Übertragung in die Hüfte werden dadurch trainiert. - Seitlich überkreuzt
Das ist auch keine Übung, die wir direkt fürs Laufen benötigen. Wir lernen damit aber einerseits, die Spannung im Rumpf zu halten (Oberkörper nicht drehen!) und andererseits üben wir auch den kurzen Bodenkontakt mit kurzem und reaktivem Aufsetzen des Fußes. Auch wenn die Übung relativ leicht aussieht, wenn du sie richtig machst, wird sie die anstrengendste Übung der Laufschule sein. - Beschleunigungslauf
Wir beenden die Laufschule mit einem beschleunigenden Lauf über ca. 50 Meter. Kein Sprint, sondern mit sehr langsamen Laufen beginnen und allmählich steigern, bis man zum Schluss die Höchstgeschwindigkeit erreicht. Jedoch mit zwei Aufgaben: hohes Knie, hohe Schrittfrequenz. Vor allem zu Beginn solltest du bei nahezu grenzwertigem Tempo die Schrittfrequenz und/oder den Kniehub nicht mehr halten könnten. Du wirst von einem Schritt auf den nächsten in dein altes System zurückfallen, denn das ist (momentan) noch stärker als das neue Bewegungsmuster. Sobald du diesen Beschleunigungslauf bis zum Schluss korrekt durchlaufen kannst, hast du es geschafft.
Lauf-ABC zur neurologischen Neuprogrammierung
Mit diesen Übungen wird dein Körper neue Bewegungsmuster kennenlernen und verinnerlichen. Die Übungen der Laufschule sind nicht komplex, sie sind einzeln betrachtet sogar sehr einfach. Sie sind Basisübungen, damit dein Körper aus seinem Trott rausgerissen wird und immer wieder zu spüren bekommt, dass es noch etwas anderes als das Gewohnte gibt. Je öfter du deinem Körper diese Übungen präsentierst, desto stabiler werden diese neuen Bewegungsmuster und dein Körper kann darauf zurückgreifen. Die Feinkoordination wird verbessert, ein neues Bewegungsmuster fürs Laufen entsteht, indem neue Synapsen verbunden werden. Mit der Zeit wird dein Körper lernen, dass es für ihn besser ist, wenn der Aufprall beim Laufen geringer ist (weil er das in der Laufschule erfahren hat),wenn die Beine etwas mehr gehoben werden und der Fuß ziehend von vorne nach hinten aufgesetzt wird (weil er das in der Laufschule das erste Mal gespürt hat), wenn er sich weniger anstrengen muss, wenn das Tempo einmal höher ist (weil er das in der Laufschule gelernt hat). Gib deinem Körper die nötige Zeit, um diese Erfahrung zu machen, und er wird sich die besseren Bewegungsabläufe für sich entdecken und von alleine ökonomischer und besser werden.
Das Lauf-ABC ist aber nur der erste Schritt beim Erlernen
einer neuen, besseren Lauftechnik. Mit dem Lauf-ABC lernen wir zwar, wie wir
anders laufen könnten. Wir präsentieren neue Bewegungsabläufe, aus denen der
Körper zurückgreifen kann. Wir laufen aber noch nicht! Wir müssen diese neuen
Abläufe auch ins normale Laufen übertragen. Der nächste Schritt zu einer
besseren Lauftechnik ist nämlich das Lauftechniktraining, mit dem wir „schöne
Laufkilometer“ sammeln und langsam von unserem bewährten Laufstil hin zu einem
neuen bewährten Laufstil kommen. Und damit befassen wir uns im nächsten
Bericht. Abonniere diesen Infokanal
bzw. den Youtube-Kanal, und du
bist am Laufenden.
Ist das Lauf-ABC ein Mal pro Woche (von 4 Läufen) ausreichend oder gar schon zu häufig?
AntwortenLöschenDas wäre genau richtig! Passend vor einer intensiveren Einheit oder sogar isoliert als eine eigene Trainingseinheit.
LöschenDemnächst findest du hier auch einen Bericht zur praktischen Umsetzung, denn die Laufschule allein ist noch lange kein richtiges Techniktraining...bleib am Laufenden!
Super - vielen Dank! :-)
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