Spätestens seit Eliud Kipchoge beim Marathonspektakel in Wien die Schallmauer von 2 Stunden geknackt hat, sind Laufschuhe mit Carbonplatten in aller Munde. Denn diese Schuhe hatten einen maßgebenden Beitrag für diese Fabelzeit. Die Hersteller haben diesen Prototypen nun auch für die Läufermasse entwickelt. Es entsteht sogar schon ein kleiner Machtkampf zwischen den Herstellern, denn jeder hat bereits seine Version eines Laufschuhs, der schneller macht. Und damit wird man tatsächlich schneller, sofern man sie laufen kann. Ich habe mir auch ein paar Gedanken darüber gemacht und möchte sie dir nicht vorenthalten.
Funktion der Laufschuhe mit Carbonplatten
Bisher kannte man das Material Carbon lediglich von der Raumfahrt oder bei High-End-Fahrrädern. Denn dieses Material aus Kohlenstofffasern
zeichnet sich durch eine extreme Festigkeit und Steifigkeit bei gleichzeitig
geringem Gewicht aus. Zum Beispiel wurden dadurch die Fahrräder extrem leicht,
ohne Einbußen in der Belastbarkeit hinnehmen zu müssen. Die leichtesten
Fahrräder am Markt haben teilweise nur noch ein Gewicht von unter 5 Kilogramm. Mit
denen muss man ja schnell fahren. So ähnlich funktioniert es auch bei den Laufschuhen,
doch nicht das Gewicht ist hier entscheidend, sondern die Steifigkeit.
Einfach ausgedrückt nützen wir Carbon in den Laufschuhen wie
ein „Trampolin“, das uns bei jedem Schritt einen Schub nach vorne mitgibt. Eine
Carbonplatte ist in der Zwischensohle des Laufschuhs eingebaut, was den Schuh sehr
steif macht, nicht aber ins Gewicht fällt. Bei jedem Schritt wird diese steife
Platte durch den Aufprall gebogen und speichert wie eine Feder Energie, die
beim Abdruck freigesetzt wird. Dadurch bekommt man zusätzlich zum normalen muskulären
Abdruck noch einmal einen Schub von hinten, der das Bein schneller nach vorne
schleudert. Dadurch können wir nachweislich schneller laufen. Die ersten
Studien von Nike konnten zum Beispiel beweisen, dass man mit diesen Schuhen bei
gleichem Tempo um 4% weniger Sauerstoff verbrauchte. Andere Hersteller kommen
zu ähnlichen Ergebnissen. Das heißt zwar nicht, dass von nun an alle um 4%
schneller laufen können, aber es hat schon eine kleine Auswirkung. Mittlerweile
laufen schon 80 bis 90% aller Spitzenläufer derartige Laufschuhe. Man bekommt
sogar den Eindruck, dass man ohne Carbon bereits vor dem Start zu den Verlierern
gehört.
Dieses „mechanische Doping“ war zu Beginn auch sehr umstritten. Der Leichtathletik Weltverband musste sogar neue Regeln aufstellen, damit keine Benachteiligung anderer herrscht. Mit diesen Regeln wurden zum Beispiel Prototypen verboten und eine maximale Sohlendicke eingeführt. Es dürfen also nur noch Laufschuhe getragen werden, die bereits mindestens vier Monate öffentlich am Markt erhältlich sind. Und mittlerweile gibt es Unzählige davon.
Möglichkeiten für uns Hobbyläufer
Was für den Spitzensport wirkt, muss nicht unbedingt auch
für den Breitensport gelten. Denn einerseits können gute Läufer meist auch gut
laufen und andererseits haben sie mit ihrer besseren Lauftechnik bereits die
nötigen muskulären Voraussetzungen geschaffen. Auch langsamere Läufer werden
mit den eingebauten Carbonplatten besser, schneller laufen können, da diese
Schuhe automatisch ein besseres Laufgefühl vermitteln. Die nötigen
Voraussetzungen fehlen aber, was langfristig zu einer Überforderung führen
kann.
Es wird also nicht funktionieren, wenn wir diese Schuhe einfach anziehen und loslaufen. Wir müssen unseren Körper daran gewöhnen und den Bewegungsapparat darauf vorbereiten. Werden sie im Zuge des normalen (Lauftechnik)Trainings eingesetzt, wird man mit Sicherheit viel Spaß damit haben, auch wenn man 5min/km läuft oder langsamer. Denn dieser „Rebound-Effekt“ ist immer zu bemerken und man wird automatisch etwas besser laufen.
- das Knie wird etwas höher sein, weil der Abdruck hinten stärker ist,
- die Schrittfrequenz sollte etwas höher werden, da das Bein schneller (mit kleinerem Hebel) nach vorne kommt
- der Fußaufsatz wird etwas weiter in Richtung Vorfuß gelagert, da diese Federwirkung bei einem Fersenlauf schwindet
Doch genau da sehe ich das Problem der Carbonplatten. Viele
dieser ambitionierte Hobbyläufer, die ambitionierte Ziele verfolgen, haben meist
nicht die körperlichen Voraussetzungen, solche Laufschuhe auf Dauer zu laufen.
Die meisten kämpften bereits ohne Hightech-Schuhen ständig an ihren physiologischen
Möglichkeiten und wurden bis dato schon mit Überlastungserscheinungen begleitet.
Zu viel Energie wurde ins Lauftraining gesteckt und auf das laufspezifische
Drumherum wurde verzichtet. Da kommen neue technologische Erfindungen gerade
recht, darauf warteten wir schon lange. Ähnlich war es bei der Entwicklung der
Skitechnologie: Als die Carver auf den Markt kamen, konnten auf einmal alle
schöne und schnelle Kurven fahren. Doch die wenigsten konnten mit den herrschenden
Kräften umgehen und viele stürzten schwer. Denn mit diesen Skiern musst man
deutlich mehr Kraft entgegenwirken, denn die Fliehkräfte wurden deutlich höher.
Der typische österreichische Skifahrer jedoch fährt lediglich eine Woche auf
Skiurlaub und stellte sich ohne Vorbereitung auf die neuen Skier. Was
heutzutage noch immer ein großes Problem auf den Skipisten darstellt.
Auch wenn die meisten von uns mit diesen Laufschuhen
zumindest ein gutes Gefühl beim (schnellen) Laufen haben werden, wir werden
auch etwas anders laufen müssen. Unser gesamter Bewegungsablauf wird sich sogar
verändern müssen. Wie wir schon in vielen anderen Berichten gehört haben, bedeutet jede kleinste Änderung des
Laufstils, dass andere Muskeln belastet werden, die noch nicht dafür gebaut
sind. Das braucht Monate bis Jahre, bis sich das neue Bewegungsmuster gefestigt
hat. Mit diesen Schuhen laufen wir jedoch nicht nur anders, auch die Kräfte
wirken deutlich stärker. Wie schon beim Thema der optimalen Lauftechnik erwähnt, wird die gesamte rückwärtige Muskulatur stark gefordert.
Wenn du bisher brav deinen Fersenlauf praktiziert hast, wirst du diesen durch
die Laufschuhe bewirkten aktiven Laufstil nicht laufen können und wirst dich sehr
bald überfordern. Vielleicht wird sich zu Beginn lediglich deine
Wadenmuskulatur stark verspannen, doch schon bald wird sich ein hartnäckiges
Achillessehnenproblem einschleichen.
Auch die Beinachse bzw. das Sprunggelenk wird auf einmal mehr belastet. Wenn du bisher immer mit gestützten Schuhen gelaufen bist, wirst du es nicht schaffen, das Sprunggelenk selbst zu stabilisieren. Meist war schon davor eine Überpronation aufgrund mangelnder Stabilität stark ausgeprägt bzw. die Muskulatur verkümmerte, da mit den stabilen Schuhen die nötigen Reize fehlten. Durch die Steifheit der Schuhe und die gebogene Form des Schuhs bleibt der Fuß mehr oder weniger in einer stabilen Position. Vor allem das Großzehengrundgelenk hat ständig eine Vorspannung, ist aber in dieser Position gefangen. Mit der Zeit sehe ich auch da Probleme auf uns Läufer zukommen, vor allem, wenn bereit die ersten Anzeichen einer Verformung zu sehen sind (Halux valgus und/oder Senk-Spreizfuß).
Spitzensportler hingegen können bereits eine gute, schnelle
Lauftechnik laufen. Das haben sie gelernt, das ist ein wesentlicher Teil in
ihrem Training. Diese Läufer haben die Beweglichkeit und die Kraft, die mit
diesen Laufschuhen entstehenden Kräfte abzufangen. Die wenigsten von uns können
das.
Die natürliche Carbonplatte
Dabei hätten wir doch selbst eine sehr wirksame Carbonplatte
in unserem Fuß: die Fußsohle und die Achillessehne haben ebenso eine Federwirkung, die wir bei jedem Schritt nützen können. Doch auch da
muss man laufen können. Beim aktiven Fußaufsatz wird die Plantar- und die Achillessehne
stark gedehnt und diese Energie wird beim Abdruck freigesetzt. Sobald du „richtig“
läufst, wirst du auch ohne Carbonplatten das Gefühl haben, dass dein Bein
regelrecht nach vorne geschleudert wird. Das zu erlernen ist der erste, meines
Erachtens sogar der wichtigere Schritt, damit man gut läuft. Wenn du das
geschafft hast, wirst du auch mit Carbonplatten ohne Probleme laufen und so
deine Leistung nachhaltig steigern können.
Mein Resümee
Ja, Laufschuhe mit Carbonplatten machen dich schneller, aber nur, wenn du sie laufen kannst. Das sollte man eigentlich beim Verkauf der Schuhe dazusagen. Ich finde diese Schuhe nämlich eine ganz falsche Entwicklung, eine Fortsetzung der Entwicklung der letzten 50 Jahre: uns wird vorgegaukelt, die Laufschuhe können viele unserer Defizite kompensieren und wir brauchen nichts weiter dafür selbst tun. In Wirklichkeit wird für uns Läufer die muskuläre Ganzkörperentwicklung sogar immer wichtiger, je schneller wir laufen wollen.
Ich bin der Überzeugung, dass dieser momentane Trend gekommen ist, um zu bleiben. Ich bin mir aber auch sicher, dass sich diese aktuelle Form der Technologie noch sehr weiterentwickeln wird. Ich bin auch überzeugt, dass demnächst jeder von uns einmal ein Paar Laufschuhe mit Carbonplatten besitzen und laufen wird. Auch wenn diese Schuhe aktuell bis zu € 300,-- kosten, dafür aber eine deutlich kürzere Lebenserwartung haben. Was kostet die Welt, und seien wir uns ehrlich, unsere Lieblingsbeschäftigung ist sowieso eines der günstigsten Hobbys. Gönnen wir uns einmal den Luxus und laufen wir auf Carbon. Viele von uns werden aber wieder auf ihre herkömmlichen Laufschuhe zurückkehren, manche werden sich bei diesem Versuch auch unangenehme Überlastungen einlaufen. Sei vorsichtig und überlege dir gut, wann du mit diesen Laufschuhen beginnen möchtest. Wenn du (noch) nicht an deiner Lauftechnik arbeitest, dann investiere jetzt lieber in ein Lauftechniktraining, damit du später mehr Freude mit Carbon
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